Dienstag, 20. September 2011

Termiten essen (und andere Vorkommnisse)


Liebe Leser,
Es ist schon wieder eine Weile her, seit ich mich gemeldet habe, und seitdem ist viel und wenig passiert. Wenig, weil wir meistens auf diversen Feldern unterwegs sind, umgrabend, pflanzend. Viel, weil all die kleinen Dinge, die täglich passieren, ein Buch füllen könnten.

In Kenia haben die Lehrer gestreikt, und der Streik scheint sich afrikaweit fortzupflanzen (zumindest habe ich gehört, dass auch in Uganda an der Uni die Professoren ihren Dienst niedergelegt haben). Da Paul Schüler, Ann Lehrerin und Charles für die Schulfinanzen zuständig ist, hatten die drei quasi verlängerte Ferien. Um so größer ist der Unterschied nun, da sie seit fast zwei Wochen erst abends heimkommen (und Paul vermutlich bis nach meiner Abreise in der boarding school bleibt) und uns vormittags auf dem leeren compound zurücklassen. Manchmal bin ich die Einzige, die zu Hause ist. Aber Dolly ist ja da. Sie hat jetzt ein kleines Haus und eine Kette, außerdem ist sie geimpft und entwurmt und zahnt fröhlich vor sich hin. Sie frisst eigentlich alles, inklusive Muschelschalen, die die Hühner aus dem übriggebliebenen Haufen Sand vor unserem Haus kratzen, und Zuckerrohr, das wir schon gekaut und ausgelutscht haben. Wir haben ihr nun vorgeschlagen, dass es vielleicht gesünder sei, sich an Knochen und Omena (Fingerlinge) zu halten, und sie scheint unser Angebot anzunehmen.

Wir haben oft Besuch. Gleich eine Woche, nachdem wir dort waren, kamen Joe und Simon aus Shinyalu. Sie werden die nächsten Tage komplett aus den ehemaligen Takatifu Gardens ausziehen, haben das restliche angefallene Gerümpel versteigert (und uns ein paar Pinsel vermacht, mit denen wir die Dusche gestrichen haben) und ziehen nach Nairobi. Vorher haben sie nochmal bei uns vorbeigeschaut und uns einen Tag auf einem Feld geholfen, dessen Erde furchtbar anstrengend umzugraben war.
Außerdem kamen neulich „fadhe Dennis“, mit dem wir im work camp gearbeitet haben, und Lucys ehemalige Arbeitskollegin vorbei, die mir eine Tüte Erdnüsse geschenkt hat. Ich habe sie schon gepellt, Lucy wird mir demnächst zeigen, wie man eine Art Eintopf daraus kocht („You are in a college!“). Gerade trocknen übrigens ein paar Sesamsamen vor ihrem Haus, die ich gewaschen habe. Eine weitere Unterrichtseinheit lautet nämlich: Wie man Sesambälle (simsim) macht. Ich muss also später nochmal in die „Schule“ aka Küche. Ich weiß jetzt auch, wie man die Fasern aus Kürbisblättern zieht, damit man sie wie eine Art Spinat kochen kann (sewewe) und wie man Termiten zubereitet. Die kriegen nur einmal im Jahr Flügel, kommen an die Erdoberfläche und versuchen, möglichst unbeschadet davon zu kommen. Da kommen flitzende Schwalben natürlich sehr ungelegen, und Menschen auch, die die kleinen schwarzen Insekten mit Flügeln, doppelt so lang wie ihr Körper, entweder sammeln und dann mit etwas Salz braten, oder aber gleich vom Fleck weg essen. Lebendig waren mir die kleinen Krabbelviecher zu --- lebendig! Aber gebraten (und mehr oder weniger unkenntlich zusammengeschrumpelt) schmecken sie wie salziges, bröseliges Rührei. Besser als Omena auf jeden Fall!
Eine weitere Besucherin war Lucys und Anns co-wife, die auch Lucy heißt. Sie hat ein Geschäft in Kisumu und ist deswegen selten zu Hause. Sie kam für ein paar Tage und wir halfen ihr auf ihrem Feld, wo wir Bohnen und Mais pflanzten. Abends saßen wir zu dritt in der Küche (Frauendomäne), wo man, während es schon dunkel ist, das Abendessen für die Männer zubereitet, den Frühstückstee kocht und dann selbst isst, während das verglühende Feuerholz gemütlich vor sich hin knackt.

Ein paar landwirtschaftliche Experimente nehmen rund um unser Haus langsam Form an. Wir haben zwei chokoes aus Shinyalu gepflanzt, die, wenn sie mal richtig wachsen (und allzu lange kann das bei diesen irren Pflanzen nicht mehr dauern), eine kleine Begrenzung vor unserer Tür sein werden. Auf der anderen Seite wächst sukuma in Säcken, sodass es einfach ist, diese Art Spinat zu gießen und zu ernten und die Hühner nicht so einfach drankommen. Außerdem haben wir ein paar Papaya- und Kürbissamen verstreut und hinter dem Haus versuchen Erdbeeren und eine Passionsfrucht ohne viel Zuwendung (zugegebenermaßen) zu sprießen.

Hin und wieder regnet es heftig gegen Abend, wir hatten aber auch ein, zwei wolkige Tage, die sich besonders gut eignen, um länger auf dem Feld zu bleiben. Vor kurzem hat es daumennagelgroße Eisbrocken gehagelt; das war dann schon ein bisschen schmerzhaft für die Ohren unter dem Blechdach.

Letztes Wochenende haben wir Familie Sind besucht. Esther Sind ist Grundschullehrerin, und wir haben ein paar Stifte verteilt, die Yaron, der Freiwillige aus den USA, im Mai hiergelassen hatte. Getuschel, Gezischel, Geschrei. Esther sagte, und damit hat sie wohl Recht: „Chaos! Wherever you wazungu (white people) go, your presence is causing chaos!“ Die ganz Kleinen haben sich sogar Pseudo-Gründe ausgedacht, um ins Lehrerzimmer zu kommen, um einen Blick auf den mzungu zu werfen.
Mr Sind ist ein Mitglied des Komitees für die beiden Projekte und er erzählte uns, dass das Geld der Harambee für die Holzkonstruktion des Klinikdaches bestimmt ist und die Arbeit bereits angefangen hat. Ein Politiker hat versprochen, die iron sheets zu spenden, wenn die Konstruktion fertig ist. Wir stellten auch einen Ein-Jahres-Plan für beide Projekte zusammen; vor allem, weil Yaron danach gefragt hatte, um in den USA Spenden zu sammeln, aber die Pläne geben auch eine gute Auskunft darüber, was noch getan werden muss und welche Pläne in Zukunft in Angriff genommen werden können. (Ich werde sie hier auch noch veröffentlichen.)
Natürlich haben wir auch seine Mutter besucht, eine alte Dame, die seit vermutlich zwanzig Jahren die selbe Mütze aufhat (zumindest habe ich sie noch nie ohne gesehen), und uns Familiengeschichten von vor noch längerer Zeit erzählte. Und noch eine alte Frau haben wir besucht: Mary Deru, der ich letztes Mal ein bisschen auf dem Feld geholfen habe. Bestimmt hundert Jahre alt, sitzt sie auf ihrem Hocker, die vielen Falten werfen silberne Schatten auf ihre schwarze Haut, und sie schaut aus der Türe den Kindern, die sie gern besuchen, beim Spielen zu. Sie sagt „Schafe ertrinken, Flugzeuge stürzen ab, Bomben explodieren, und ich frage Gott: Warum nicht ich?“. Sie vermutet, dass Gott will, dass das Dach ihrer Kirche fertiggestellt wird, erst dann wird er sie sterben lassen. Sie kann kaum laufen, und wenn sie morgens vom Feld zurückkommt, dass sie bestellt, damit sie nicht auf andere angewiesen ist, würde sie gerne Tee trinken oder frühstücken, aber schon um ein Feuer anzumachen muss sie erst ein bisschen dösen, um Energie zu sammeln. Sie erinnert sich an mich, und sie erinnert sich an Zeiten, da sie Eier für zwei Cent das Stück kaufte, gute zwanzig Kilometer zu Fuß zum Markt lief, die Eier für drei Cent verkaufte und dann wieder nach Hause ging. (Heute kosten die Eier acht oder zehn Shilling das Stück, und das sind derzeit umgerechnet etwa sechs Eurocent.)

Gestern haben wir das Projekt von zwei Franzosen und einem Italiener besucht, die auf einem ziemlich großen Stück Land Gemüse anbauen und es in größeren Städten verkaufen (Hier weiß kaum jemand, was er mit Paprika oder Aubergine anfangen sollte). Ihr Ziel ist es, eine Kooperative zu gründen, in der verschiedene Leute cashcrops für sie anbauen, die sie dann verkaufen. Die Leute waren nett und es war interessant, die Farm zu sehen. Allerdings schreckten uns „Ökos“ die Mengen von Dünger und Pestiziden ab, und die Tatsache, dass sie die Leute von der Subsistenzwirtschaft wegbringen wollen – wo gerade in der aktuellen Situation des Kenya Shillings (Inflation!!) Essen viel mehr wert ist zu haben als Geld…

Es ließe sich noch einiges anfügen: Lucys Rückenschmerzen und ihre Fahrt ins Krankenhaus, Dollys tapfere Miene beim Impfen heute, unser geplanter Uni-Ausflug nach Narok am Sonntag, Antonys Seminar in Nairobi und unsere couchsurfing-Ambitionen in der Hauptstadt… Aber davon vielleicht ein andermal. Jetzt werde ich erstmal ein paar Paprika und Auberginen schnippeln, die wir gestern geschenkt bekommen haben, um Lucy zu zeigen, wie man solches Gemüse zum Beispiel in einem Omelette verbraten kann. Eine allseits beliebte Delikatesse hier auf dem compound sind übrigens Spaghetti à la Laura geworden, ich komme also nicht drumrum, auch das nochmal zu kochen.

Soweit mal alles Liebe aus dem heißen Kenia, wo der Wind in den Bananenblättern und die ersten Wolken am Horizont einen kühlenden Regenschauer gegen Abend versprechen.

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