So, jetzt nochmal ganz der Reihe nach, nach diesem chaotischen Eintrag aus Hamburg:
Am Dienstag, 16. Juni, bin ich nach Echte geradelt, wo ich wieder eine Couch gesurft habe, und zwar die von Daniela, deren Tochter Jessy mir gleich mal ein tolles kleines Afrika-Geschenk gemacht hat, das seitdem sehr hübsch an meinem Handgelenk anzusehen ist, und die mich am nächsten Morgen nach einem ausgiebigen Frühstück zur HNA in Neuenkirchen gefahren hat, wo ich noch ein kleines "Interview" gegeben habe. Das Ergebnis:
Und wie man an den Kommentaren sieht, wurde da doch nochmal jemand auf mich aufmerksam! Noch am gleichen Tag radelte ich nach Hannover und hatte immer noch genügend Zeit, mir die Stadt anzuschauen. Hannover an sich und an einem Tag ist eigentlich wie jede andere deutsche Großstadt auch: ein paar Kirchen, eine Einfaufsmeile, ein schöner Park und eine nette Altstadt. Die Wohnung meines Couchsurfers dagegen war dagegen umwerfend, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte, bei all den Farben, Karten, Zitaten, Graffittis und Sachen, die von der Decke hingen... Und: Ich habe einen der Macher des Animationsfilms "Urmel aus dem Eis" getroffen. Oh ja, nämlich Gilou, den Couchsurfer aus der bunten WG.
Nördlich von Hannover war dann aber auch bald schon wieder tote Hose, viel Gegend, viele rote Backsteindörfer und ein netter Bauer, der mir noch den Tip gab: "Vielleicht bauen Sie Ihr Zelt lieber nicht da in der Senke auf, wenn's heute Nacht noch regnet, könnte dat unangenehm werden." Leider kann ich den norddeutschen Dialekt schriftlich nicht so gut widergeben, aber es klingt immer nach einem besserwisserischen Singsang, nach einer Gemütlichkeitsmelodie irgendwie, eine liebenswürdige Sprachwelle, die so richtig Lust auf Hamburg macht und auf die man am liebsten stets antworten würde: "Jowoll, Herr Kabbitäjn!"
Am darauffolgenden Morgen: Noch nördlicher ging's, noch surrealer wurde es. Kaum Leute unterwegs, die winzigen, ausgestorbenen Dörfer durch kilometerlange, unmarkierte Landstraßen verbunden, über die höchstens mal ein Militärfahrzeug rast oder sich eine Schlange kringelt. (Echt jetzt, ich hab eine Schlange gesehen, und gar nicht mal so eine kurze! Außerdem Eichhörnchen und Wiesel.)
An diesem Abend habe ich hinter der Touristeninformation in Neuenkirchen übernachtet, bei den Enten, und mich mit einem Hamburger unterhalten, der mir bereitwillig seine spannende Lebensgeschichte erzählte, die teilweise bis nach Ecuador reicht.
Der nächste Morgen: Ich mache den Reisverschluss meines Schlafsacks auf, krabbele aus dem Zelt und kriege einen leichten Schreck: Rennriette ist weg!! Ich hatte sie nicht abgeschlossen, wer soll ihr in Neuenkirchen auch schon was anhaben, wo es mehr Enten und ältere Damen als sonst was zu geben scheint. Doch es hatte sich jemand einen Scherz erlaubt und Rennriette ums Eck vor das Gebäude geschoben. Die Radtaschen waren noch da, nur die halbe Tüte Direkt-Apfelsaft fehlte. Naja, wie schon Clueso sang: Panik sieht bescheuert aus. Ich war einfach froh, meine Drahteselin heil und komplett besattelt wiedergefunden zu haben. Und an den/die Apfelsaftklauer: Prost!
Solche Abenteuer halten mich nämlich von gar nichts ab. Ich strample fleißig weiter nach Buchholz in der Nordheide, wo meine nächsten Couchsurfer wohnen, die mich kurzerhand zur Partysurferin machen und mich auf ihre alljährliche Wiesenparty einladen: Ein Haufen netter Leute, ein Lagerfeuer, ein Grill und ein Tipi. Das macht gute Laune, interessante Gespräche, einen vollen Bauch und eine heimelige Nacht im Indianerzelt.HUGH!
Drohene, grauschwarze Wolkenwände am nächsten Morgen, die sich bald darauf in einem Maße entluden, als wenn es nie wieder regnen sollte, hielten mich dennoch nicht davon ab, schließlich nach Hamburg zu strampeln, wie ihr ja schon einem etwas chaotischen Eintrag vernehmen konntet. Welch ein euphorisches Gefühl, vor dem gelben "Hamburg"-Schild zu stehen, über die Elbe zu fahren, die HafenCity-Baustellen zu durchqueren, die Speicherstadt zu erreichen und kurz danach viele der bereits bekannten Orte wiederzusehen.
Meine Hamburger Couch stand in einer Wohnung, deren Couchsurfer gar nicht da war, der aber den Schlüssel den Nachbarn gegeben hatte, und so konnte ich in diese schicke, schlichte, helle Wohnung an der Elbchausse und hatte Riesengermknödel zum Abendessen. Der Hamburger ist nämlich eigentlich Österreicher.
Die nächste Strecke führte über die morgendliche Reeperbahn, an der Alster entlang und an sehr vielen Joggern vorbei ins nächste Stück Gegend, wo vor allem Kühe meinen Weg säumten. Aber auch die Gestüte nehmen hier plötzlich zu, und auf einem solchen habe ich gestern Nacht auch ein Stückchen Wiese für mein Zelt gefunden. Dieses ist mittlerweile schon ziemlich ramponiert; die Zeltstangen bröckeln stückchenweise weg, wasserdicht war es sowieso nie und die Nähte drohen zu platzen. Aber es erfüllt immernoch seinen Zweck, sieht zwar nicht mehr ganz so ästhetisch aus und hängt eben ein wenig durch, aber es bietet Schutz vor den mittsommerlichen Regentropfen und ich verkrieche mich stets recht früh darin, weil es ab einer gewissen Uhrzeit einfach zu kalt wird, um noch draußen zu sein. Und so krabbelte ich auch gestern Abend gegen neun in meine Koje, nachdem ich den Pferden Gute Nacht gewünscht, die Zähne geputzt und das Stückchen Regenbogen am östlichen Himmel bewundert hatte, ein bisschen wehmütig, weil mir zumindest in der Mittsommernacht ein "gemütliches Beisammensein" mit Freunden und/oder Familie gut gefallen hätte, aber auch zufrieden, ein gutes Buch zu haben, das mich weit weg ins verregnete Lissabon entführt und erfreut darüber, dass ich auch diese Lektion, nämlich die der Einsamkeit, einmal lernen, erfahren und erleben kann.
Der Morgenhimmel von heute strahlte, als hätte er mir nicht mehrmals in der letzten Nacht aufs Zeltdach getropft. Heller Sonnenschein und einige Kuh- ... äh, Pferdekäffer warteten auf mich, und schließlich Neumünster, Kleinstadt im Norden, wo ich bei der nächsten, übrigens phillipinischen und kochbegabten, Couchsurferin untergekommen bin.
Ich kann's kaum glauben, dass ich es tatsächlich schon fast geschafft habe, und wie einfach das Ganze doch im Nachhinein war. Allerdings ist mir bewusst, dass ich es ohne den Antrieb durch die beiden Projekte und die große Unterstützung von allen Bekannten und Unbekannten vermutlich nicht so einfach geschafft hätte. Vielen lieben Dank an dieser Stelle, wenn auch zum wiederholten Male.
In Kenia werden übrigens in der Zwischenzeit fleißig Meetings abgehalten, man stellt eine Reihe von "Untersuchungen" an, um festzustellen, was zu tun ist, wenn ich die ersten Spenden aus Deutschland überweise.
Morgen stürze ich mich erstmal in die Kieler Woche, und dann kann ich schon sagen "Übermorgen. Übermorgen ist der erste Teil meiner Reise zu Ende, und ichbin vorläufig am Ziel."